„In Österreich Jude zu sein, bedeutet immer zum Tode verurteilt zu sein“: Heldenplatz von Thomas Bernhard, Uraufführung von 1988
Am 12. März 1938 wurde Österreich von Truppen Nazideutschlands besetzt und unter der Bezeichnung „Ostmark“ in das Deutsche Reich eingegliedert. Nach 1945 verbreitete sich in Österreich selbst der Mythos, das „erste Opfer“ der deutschen Nationalsozialisten gewesen zu sein.
Dementsprechend fand eine Aufarbeitung des NS und der Schuld an seinen Verbrechen in Österreich noch weniger als in der Bundesrepublik und der DDR statt. Dabei war die Begeisterung für den Nationalsozialismus in Österreich schon vor 1938 in der Mehrheit der Bevölkerung stark verwurzelt. Der österreichische Ableger der NSDAP war zwar im austrofaschistischen Staat verboten, blühte jedoch im Untergrund auf. Ohne einen Befehl der deutschen Nationalsozialisten abzuwarten oder gar zu benötigen, begann bereits am 12. März pogromartiger Terror der Mehrheitsgesellschaft gegen österreichische Jüdinnen und Juden.
Einer der stärksten Kritiker der österreichischen Erinnerungskultur und Geschichtspolitik war der Autor Thomas Bernhard, der selbst als Kind durch die nationalsozialistische Erziehung traumatisiert wurde. Bernhard, dessen Kritik an der österreichischen Gesellschaft, insbesondere dem Bürgertum bisweilen misanthropische Züge annimmt, wurde zum 50. Jahrestag des „Anschlusses“ damit beauftragt ein Stück für das Wiener Burgtheater zu schreiben. Zwei Jahre nach der Waldheim-Affäre, bei der die Beteiligung des österreichischen Ministerpräsidenten an Kriegsverbrechen der Wehrmacht publik gemacht worden war, konnte Bernhard nicht anders, als ein Fanal der unaufgearbeiteten Verstrickung Österreichs in die Verbrechen des NS zu präsentieren.
Das Stück Heldenplatz, benannt nach dem zentralen Platz neben der Wiener Hofburg, auf dem am 15. März 1938 rund 250.000 Menschen Adolf Hitlers Erklärung des „Anschlusses Österreichs“ mit frenetischem Beifall und „Sieg Heil“-Rufen feierten, erzählt von einer jüdischen Familie aus dem Bildungsbürgertum, ihrer Erinnerung an die Emigration und die Unmöglichkeit auch über vierzig Jahre nach der Befreiung Österreichs wieder dort zu leben. Die Uraufführung, von der wir uns die Aufzeichnung des Premierenabends ansehen werden, sorgte für einen Skandal quer durch die österreichische Gesellschaft und tumultartige Szenen in und vor dem Burgtheater. Für uns soll sie die Möglichkeit bieten, sich Antifaschismus aus einer anderen und womöglich ungewohnten Perspektive vor Augen zu führen und gleichzeitig ihr 35. Jubiläum zu feiern.
Die Veranstaltung findet am Sonntag, 12. März 2023, im Trotz Allem, Wideystraße 44, Witten statt. Das Trotz öffnet um 18:30 Uhr, Beginn 19:00 Uhr. Das Stück dauert rund drei Stunden, wobei wir nach dem ersten und zweiten Akt jeweils eine kurze Pause machen werden.